Trigonometrische Funktionen

Die trigonometrischen Funktionen, auch „Winkelfunktionen“ genannt, weisen jedem Winkel eine bestimmte Zahl zu, die das Längenverhältnis der entsprechenden Seiten in einem rechtwinkligen Dreieck angibt.

Die Winkelfunktionen am Einheitskreis

Die beiden Winkelfunktionen Sinus und Cosinus lassen sich nicht nur als Längenverhältnisse in einem rechtwinkligen Dreieck, sondern auch als Streckenanteile interpretieren. Zeichnet man in ein Koordinatensystem einen Kreis mit Radius eins um den Koordinatenursprung \mathrm{O} = (0,0) und verbindet den Koordinatenursprung mit einem auf dem Kreis entlang wandernden Punkt \mathrm{P}, so stellen Cosinus und Sinus die senkrechten Projektionen der Verbindungslinie auf die x- bzw. y-Achse dar. Der Tangens entspricht der Steigung, welche die Verbindungslinie \overline{\mathrm{OP}} bei einem Winkel \alpha hat.

fig-einheitskreis-winkelfunktionen

Sinus und Cosinus am Einheitskreis. Die Verbindungslinie \overline{\mathrm{OP}} besitzt die Länge eins, so dass \cos{\alpha } und \sin{\alpha } den Längen des x- bzw. y-Anteils von \overline{\mathrm{OP}} entsprechen.

Der entscheidende Vorteil dieser Darstellung liegt darin, dass der Winkel hierbei beliebig große Werte annehmen kann: Gilt für den Winkel \alpha >
360\degree, so wiederholen sich auch die entsprechenden Werte von \sin{\alpha},\; \cos{\alpha } und \tan{\alpha} mit einer Periode von 360 \degree von neuem.[1]

fig-einheitskreis-winkelfunktionen-2

Vorzeichen von Sinus und Cosinus in den verschiedenen Quadranten.

Damit sich die Winkelfunktionen in einem üblichen Koordinatensystem darstellen lassen, wird der Winkel als Argument meist nicht im Gradmaß, sondern im Bogenmaß angegeben. Damit kann, da sich die trigonometrischen Funktionen für beliebig große Winkelwerte gelten, kann beispielsweise auch \sin{(x)} anstelle von \sin{(\alpha)} für jedes x \in \mathbb{R} geschrieben werden. Die Vorzeichen der Winkelfunktionen wiederum richten sich danach, in welchem Quadranten des Koordinatensystems sich der „Kreisvektor“ \mathrm{OP} gerade befindet.

Anhand des Einheitskreises lässt sich auch der so genannte „trigonometrische Pythagoras“ ableiten; Mit der Hypotenusenlänge \mathrm{OP} = 1 und den Kathetenlängen \sin{(\alpha)} und \cos{(\alpha)} lautet der Satz des Pythagoras hierbei:

(\sin(\alpha))^2 + (\cos{(\alpha)})^2 = 1^2

Gewöhnlich wird \sin ^2{(\alpha)} anstelle von (\sin{(\alpha)})^2 und \cos^2{(\alpha)} anstelle von (\cos{(\alpha)})^2 geschrieben. Für beliebige Winkelwerte \alpha bzw. x ergibt sich damit die folgende wichtige Beziehung:

(1)\sin^2{(x)} + \cos^2{(x)} = 1

Eigenschaften und Funktionsgraphen der Winkelfunktionen

Für einige besondere Winkel \alpha lassen sich die Werte der Winkelfunktionen als (verhältnismäßig) einfache Bruch- bzw. Wurzelzahlen angeben – für die übrigen Winkelmaße ergeben \sin{\alpha } und \cos{\alpha } Werte mit unendlich vielen Nachkommastellen, die sich periodisch stets zwischen -1 und +1 bewegen. Die Werte von \tan{\alpha } als dem Verhältnis von \sin{\alpha } zu \cos{\alpha } reichen von - \infty bis + \infty und sind nicht definiert, wenn \cos{\alpha } = 0 gilt.

Funktionswerte der Winkelfunktionen für besondere Winkel.
{\color{white}1}\alpha {\color{white}\frac{1}{2}111}0\degree{\color{white}111} {\color{white}\frac{1}{2}11}30\degree{\color{white}111} {\color{white}\frac{1}{2}11}45\degree{\color{white}111} {\color{white}\frac{1}{2}11}60\degree{\color{white}111} {\color{white}\frac{1}{2}11}90\degree{\color{white}111} {\color{white}\frac{1}{2}1}120\degree{\color{white}111} {\color{white}\frac{1}{2}1}135\degree{\color{white}111} {\color{white}\frac{1}{2}1}150\degree{\color{white}111} {\color{white}\frac{1}{2}1}180\degree{\color{white}111} {\color{white}\frac{1}{2}1}270\degree{\color{white}111}
\sin{\alpha } {\color{white}1111}0 {\color{white}111.}\frac{1}{2} {\color{white}11}\frac{1}{2} \cdot \sqrt{2} {\color{white}11}\frac{1}{2} \cdot \sqrt{3} {\color{white}111.}1 {\color{white}1.}\frac{1}{2} \cdot \sqrt{3} {\color{white}1.}\frac{1}{2} \cdot \sqrt{2} {\color{white}111}\frac{1}{2} {\color{white}111}0 {\color{white}.}-1
\cos{\alpha } {\color{white}1111}1 {\color{white}11}\frac{1}{2} \cdot \sqrt{3} {\color{white}11}\frac{1}{2} \cdot \sqrt{2} {\color{white}111.}\frac{1}{2} {\color{white}111.}0 {\color{white}1}-\frac{1}{2} -\frac{1}{2} \cdot \sqrt{2} -\frac{1}{2} \cdot \sqrt{3} {\color{white}.}-1 {\color{white}111}0
\tan{\alpha } {\color{white}1111}0 {\color{white}11}\frac{1}{3} \cdot \sqrt{3} {\color{white}111.}1 {\color{white}111}\sqrt{3} {\color{white}11.}\text{n.d.} {\color{white}1}-\sqrt{3} {\color{white}1}-1 -\frac{1}{3} \cdot \sqrt{3} {\color{white}111}0 {\color{white}11}\text{n.d.}

Die Werte der Winkelfunktionen \sin{\alpha } und \cos{\alpha} lassen sich auch als (wellenartige) Funktionsgraphen darstellen.

fig-sinus-und-cosinus

Die Funktionsgraphen von Sinus und Cosinus für die erste Periode (0 < \alpha <
360\degree).

Die beiden Funktionen \sin{(x)} und \cos{(x)} nehmen regelmäßig wiederkehrend die gleichen Werte aus dem Wertebereich \mathbb{W} =
[-1;1] an. Sie werden daher als „periodisch“ bezeichnet, mit einer Periodenlänge von 2 \cdot \pi. Es gilt damit für jede natürliche Zahl n:

(2)\sin{(x \pm 2 \cdot \pi)} &= \sin{(x)} \\
\cos{(x \pm 2 \cdot \pi)} &= \cos{(x)} \\

Führt man die Funktionsgraphen der Sinus- und Cosinusfunktion für negative x-Werte fort, so kann man erkennen, dass es sich bei der Sinusfunktion um eine ungerade (punktsymmetrische) Funktion und bei der Cosinusfunktion um eine gerade (achsensymmetrische) Funktion handelt. Es gilt also:

(3)\sin{(x)} &= - \sin{(-x)} \\
\cos{(x)} &= \phantom{+} \cos{(-x)}

Zudem kann man den Funktionsgraphen der Cosinus-Funktion erhalten, indem man den Funktionsgraphen der Sinus-Funktion um \frac{\pi}{2} nach links (in negative x-Richtung) verschiebt; entsprechend ergibt sich die Sinus-Funktion aus einer Verschiebung der Cosinusfunktion um \frac{\pi}{2} nach rechts. Es gilt somit unter Berücksichtigung der Symmetrie der Cosinus-Funktion:

(4)\sin{(x)} &= \cos{\left(-x + \frac{\pi}{2}\right)} = \cos{(+x - \frac{\pi}{2})}\\
\cos{(x)} &= \sin{\left(-x + \frac{\pi}{2}\right)} \\

Da die Funktionswerte der Sinus- und Cosinusfunktion periodisch sind, sind auch ihre Nullstellen periodisch. Sie lassen sich mit einer beliebigen natürlichen Zahl n in folgender Form angeben:

(5)\sin{(x)} &= 0 \quad \Leftrightarrow \quad x = n \cdot \pi \\
\cos{(x)} &= 0 \quad \Leftrightarrow \quad x = (2 \cdot n + 1) \cdot \frac{\pi}{2} \\

Die Tangensfunktion

Für die Tangens-Funktion \tan{\alpha } = \frac{\sin{\alpha }}{\cos{\alpha
}} ergeben sich Vorzeichenwechsel an den Definitionslücken (den Stellen, an denen \cos{\alpha } = 0 gilt). Je nachdem, von welcher Seite aus man sich diesen „Polstellen“ nähert, nehmen die Funktionswerte des Tangens – entsprechend der Vorzeichen von \sin{\alpha } und \cos{\alpha } – unendlich große negative bzw. positive Werte an.

fig-tangens

Der Funktionsgraph des Tangens für 0 < \alpha < 360\degree.

Die Nullstellen n \cdot \pi der Tangensfunktion sind mit denen der Sinusfunktion identisch, die Polstellen entsprechen den Nullstellen (2
\cdot n + 1) \cdot \frac{\pi}{2} der Cosinusfunktion.

Additionstheoreme

Bisweilen treten in mathematischen und technischen Aufgaben Sinus- und Cosinusfunktionen auf, deren Argument eine Summe zweier Winkel ist. Oft ist es dabei hilfreich, diese als Verknüpfung mehrerer Sinus- bzw. Cosinusfunktionen mit nur einem Winkel als Argument angeben zu können. Die folgenden Rechenregeln, die eine derartige Umrechnung ermöglichen, werden üblicherweise als „Additionstheoreme“ bezeichnet.

Für beliebige Winkelwerte x_1 und x_2 gilt:

(6)\sin{(x_1 + x_2)} &= \sin{(x_1)} \cdot \cos{(x_2)} + \cos{(x_1)} \cdot \sin{(x_2)} \\
\cos{(x_1 + x_2)} &= \cos{(x_1)} \cdot \cos{(x_2)} - \sin{(x_1)} \cdot \sin{(x_2)} \\

Ist x_2 < 0, so gilt wegen Gleichung (3):

\sin{(x_1 - x_2)} &= \sin{(x_1)} \cdot \cos{(x_2)} - \cos{(x_1)} \cdot \sin{(x_2)}{\color{white}111} \\
\cos{(x_1 - x_2)} &= \cos{(x_1)} \cdot \cos{(x_2)} + \sin{(x_1)} \cdot \sin{(x_2)} \\

Ist x_1 = x_2, so gelten folgende Rechenregeln für „doppelte“ Winkelwerte:

(7)\sin{(2 \cdot x)} &= 2 \cdot \sin{(x)} \cdot \cos{(x)}\\[4pt]
\cos{(2 \cdot x)} &= \cos^2{(x)} -
\sin ^2{(x)} \\ &= 2 \cdot \cos^2{(x)} - 1 = 1 - 2 \cdot \sin ^2{(x)} {\color{white}\;\, 1}

Umgekehrt lassen sich Sinus und Cosinus auch umformen, indem man in den obigen Gleichungen x durch \frac{x}{2} ersetzt. Es gilt dabei:

(8){\color{white}1 \;\;}\sin{(x)} &= 2 \cdot \sin{\left(\frac{x}{2}\right)} \cdot
\cos{\left(\frac{x}{2}\right)} \\[6pt]
\cos{(x)} &= \cos^2{\left(\frac{x}{2}\right)} - \sin
^2{\left(\frac{x}{2}\right)} \\[2pt]
&= 2 \cdot \cos^2{\left(\frac{x}{2}\right)} - 1 = 1 -2 \cdot \sin ^2{\left(\frac{x}{2}\right)}

Zudem gibt es (eher zum Nachschlagen) auch zwei Formeln, mit denen Summen oder Differenzen von gleichartigen Winkelfunktionen in Produkte verwandelt werden können, was insbesondere bei der Vereinfachung von Brüchen hilfreich sein kann:

(9)\sin{(x_1)} + \sin{(x_2)} = 2 \cdot \sin{\left(
\frac{x_1+x_2}{2}\right)} \cdot \cos{\left(\frac{x_1-x_2}{2} \right)}{\color{white}\qquad\quad 1} \\[6pt]
\sin{(x_1)} - \sin{(x_2)} = 2 \cdot \cos{\left(
\frac{x_1+x_2}{2}\right)} \cdot \sin{\left(\frac{x_1-x_2}{2} \right)}{\color{white}\qquad\quad 1} \\

Schließlich gibt es noch zwei Additionsregeln für die Summe bzw. die Differenz von Winkelargumenten bei Tangensfunktionen:

(10)\tan{(x_1 + x_2)} &= \frac{\tan{(x_1)} + \tan{(x_2)}}{1 - \tan{(x_1)} \cdot \tan{(x_2)}}{\color{white}\qquad\qquad\qquad 1} \\[6pt]
\tan{(x_1 - x_2)} &= \frac{\tan{(x_1)} - \tan{(x_2)}}{1 + \tan{(x_1)} \cdot \tan{(x_2)}} \\

Die Arcus-Funktionen

Die Arcus-Funktionen \text{asin}(x), \text{acos}(x) und \text{atan}(x) geben zu einem gegebenen Wert x den zugehörigen Winkel \alpha an; sie sind damit die Umkehrfunktionen der trigonometrischen Funktionen \sin{(x)}, \cos{(x)} und \tan{(x)}. Beispielsweise ist \text{asin}(x) der Winkel im Einheitskreis, dessen Sinus gleich x ist.

Da die Sinus-, Cosinus- und Tangensfunktionen aufgrund ihrer Periodizität nicht bijektiv sind, muss ihr Definitionsbereich bei der Bildung der jeweiligen Umkehrfunktion eingeschränkt werden. Die Arcus-Funktionen werden dabei üblicherweise mit folgenden Definitionsbereichen festgelegt:

  • Die Umkehrfunktion zu y=\sin{(x)} mit x \in [-
\frac{\pi}{2};\frac{\pi}{2}] ist die Funktion y=\text{asin}(x) mit x \in [1;1].
fig-arcus-sinus

Funktionsgraph der Arcus-Sinus-Funktion.

  • Die Umkehrfunktion zu y=\cos{(x)} mit x \in
[\phantom{-}\!0;\pi] ist die Funktion y=\text{acos}(x) mit x
\in [1;1].
fig-arcus-cosinus

Funktionsgraph der Arcus-Cosinus-Funktion.

  • Die Umkehrfunktion zu y=\tan{(x)} mit x \in
[-\frac{\pi}{2};\frac{\pi}{2}] ist die Funktion y=\text{atan}(x) mit x \in \mathbb{R}.
fig-arcus-tangens

Funktionsgraph der Arcus-Tangens-Funktion.

Die Wertebereiche der Arcus-Funktionen stimmen dabei mit den obigen Definitionsbereichen der ursprünglichen Winkelfunktionen überein.


Anmerkungen:

[1]Unter einer periodischen Funktion versteht man allgemein eine Funktion, für die f(x + p) = f(x) gilt; dabei wird p als Periode der Funktion bezeichnet.