Die kinetische Gastheorie¶
Viele reale Gase können unter Standardbedingungen in guter Näherung mittels des Modells der idealen Gase beschrieben werden: Die Anziehungskräfte zwischen den einzelnen Teilchen ist meist vernachlässigbar gering, und ebenso ist das Volumen der einzelnen Teilchen klein im Vergleich zum Gesamtvolumen des Gases. Geht man von diesen Annahmen aus, so kann ein Gas als große Anzahl einzelner Atome oder Moleküle angesehen werden, die sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten in unterschiedliche Richtungen bewegen, wobei die einzelnen Bewegungsrichtungen und Geschwindigkeiten statistisch gleich verteilt sind.
In einem einfachen Modell kann man von einem einzelnen Gasteilchen ausgehen, das sich in einem kubischen Behälter in -Richtung auf die linke Wand des Behälters zu bewegt. Bezeichnet man mit die Masse des Gasteilchens und mit seine ursprüngliche Geschwindigkeit, so gilt für die Impulsänderung, die das Teilchen bei einem elastischen Stoß mit der Wand erfährt:
Bis das Teilchen wieder auf die linke Wand trifft, muss es eine Strecke von zurücklegen, wenn die Länge des Würfels ist. Bis zum nächsten Stoß mit der linken Wand vergeht somit folgende Zeit :
Die Kraft, die das Teilchen auf die Wand ausübt, ist gleich der Impulsänderung je Zeit:
Der Druck, der von dem einzelnen Teilchen auf die linke Wand ausgeübt wird, ist gleich dem Quotienten aus Kraft und Wandfläche:
Im letzten Rechenschritt wurde die Beziehung verwendet. Geht man nun nicht von einem einzelnen, sondern von Teilchen aus, die sich in -Richtung mit den Geschwindigkeiten hin- und herbewegen, so addieren sich die einzelnen Beiträge zum Gesamtdruck:
Da in einem Gasvolumen üblicherweise sehr viele Teilchen vorkommen, ist es wesentlich sinnvoller, anstelle von einzelnen Geschwindigkeits-Quadraten mit -mal dem mittleren Geschwindigkeits-Quadrat der Teilchen zu rechnen. Dieses entspricht dem arithmetischen Mittel der einzelnen Werte:
Setzt man diesen Ausdruck in die obige Gleichung ein, so erhält man:
Bei der Bewegung der Gasteilchen im Behälter tritt keine Geschwindigkeitsrichtung bevorzugt auf. Wenn sich im Durchschnitt gleich viele Gasteilchen in -, - und -Richtung bewegen, muss gelten.
Somit kann die obige Gleichung in folgender Form geschrieben werden:
Im letzten Rechenschritt wurde der Term auf der rechten Seite mit multipliziert, was den Wert des Terms zwar unverändert lässt, es allerdings ermöglicht, den Faktor als mittlere kinetische Energie der Gasteilchen aufzufassen. Formt man die Gleichung weiter um, so folgt:
Der Ausdruck auf der linken Gleichungsseite entspricht nach der allgemeinen Gasgleichung gerade . Anstelle der allgemeinen Gaskonstante kann auch geschrieben werden, wobei die so genannte Boltzmann-Konstante ist.[1] Für eines Gases gilt:
Somit erhält man als Ergebnis der kinetischen Gastheorie schließlich folgende Gleichung:
(1)¶
Die kinetische Energie der Gasteilchen nimmt also direkt proportional mit der (absoluten) Temperatur des Gases zu. Mit Hilfe der Gleichung (1) kann einerseits bestimmt werden, welche kinetische Gesamtenergie die Teilchen einer Gasmenge bei einer bestimmten Temperatur aufweisen, andererseits allerdings auch berechnet werden, wie groß die durchschnittliche Geschwindigkeit der einzelnen Gasteilchen bei einer bestimmten Temperatur ist.
Beispiele:
Wie groß ist die kinetische Gesamtenergie aller Moleküle eines idealen Gases bei einer Temperatur von und einer Stoffmenge von ?
Nach der kinetischen Gastheorie gilt für die durchschnittliche kinetische Energie eines einzelnen Gasteilchens:
Multipliziert man diesen Wert mit der Anzahl an Teilchen je Mol, so erhält man als Gesamtenergie für ein Mol an Teilchen:
Unter Normalbedingungen nimmt ein Mol eines idealen Gases ein „Normalvolumen“ von ein. Die darin enthaltene kinetische Energie aller Teilchen entspricht in etwa der kinetischen Energie eines schweren Gegenstands, der sich mit einer Geschwindigkeit von bewegt. Diese beachtliche Energiemenge ist beispielsweise der Grund dafür, weshalb Wärmepumpen einen Teil der kinetischen Teilchen-Energien einer kälteren Umgebung „abzapfen“ und einer wärmeren Umgebung zuführen können.
Freiheitsgrade mehratomiger Gasteilchen
Nach Gleichung (1) ist die absolute Temperatur ist ein Maß für die mittlere Bewegungsenergie eines Gasteilchens. Ein einatomiges Gas kann sich translatorisch in jede der drei Richtungen des Raumes bewegen; man sagt hierfür, dass ein solches Gasteilchen drei Translations-Freiheitsgrade besitzt. Zusätzlich kann sich ein atomares Gasteilchen um seinen Schwerpunkt drehen (ähnlich wie eine starre Kugel), es besitzt also auch drei Rotations-Freiheitsgrade.
- Einatomige Gase kann man sich modellhaft als „glatte“ Kugeln vorstellen; sie tauschen bei Zusammenstößen keine Rotationsenergie aus. Für einatomige Gase sind somit nur die drei Translations-Freiheitsgrade von Bedeutung.
- Gasteilchen, die aus zwei Atomen bestehen, kann man sich modellhaft wie „Hanteln“ vorstellen. Man hat experimentell festgestellt, dass bei derartigen Molekülen unter gewöhnlichen Bedingungen neben den drei Translations-Freiheitsgraden nur zwei Rotations-Freiheitsgrade in Erscheinung treten: Das Molekül kann bei normalen Temperaturen um beide Querachsen rotieren, nicht jedoch um die Längsachse; den dritten Rotations-Freiheitsgrad bezeichnet man als „eingefroren“.[2] Insgesamt weisen zweiatomige Gasteilchen somit Freiheitsgrade auf.
- Dreiatomige Gase, deren Atome nicht auf einer gemeinsamen Geraden liegen, und mehratomige Gase bezitzen drei (oder sogar mehr) Rotations-Freiheitsgrade.
Für die kinetische Gastheorie sind die Freiheitsgrade der Gasteilchen insofern von Bedeutung, als dass man festgestellt hat, dass die mittlere kinetische Energie eines idealen Gases je Mol und Freiheitsgrad beträgt:
(2)¶
Hierbei ist für einatomige Gase, für zweiatomige Gase und für drei- und mehratomige Gase.
Beispiel:
Wie groß ist die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeitsquadrat von Luftmolekülen bei ?
Nach der kinetischen Gastheorie gilt für die durchschnittliche kinetische Energie eines einzelnen Gasteilchens der Masse :
Wie im Abschnitt Teilchenzahl und molare Masse gezeigt, beträgt die Masse von einem Mol an Stickstoff-Teilchen , die Masse von einem Mol an Sauerstoff-Teilchen . Teilt man diese Werte jeweils durch die Anzahl an Teilchen je Mol, so erhält man als Masse eines Stickstoff- bzw. Sauerstoff-Teilchens:
Setzt man diese Werte in die obige Gleichung ein, so erhält man für die Geschwindigkeiten der Stickstoff- und Sauerstoffmoleküle:
Die Stickstoffteilchen sind mit rund somit schneller als die Sauerstoffteilchen mit rund .
Je geringer die molare Masse eines Gases ist, desto höher ist bei einer bestimmten Temperatur also die durchschnittliche Geschwindigkeit der enthaltenen Teilchen.
Die Maxwellsche Geschwindigkeitsverteilung
Die Geschwindigkeitswerte der einzelnen Gasteilchen sind statistisch verteilt, wobei die Verteilung aller vorkommenden Geschwindigkeiten durch eine Verteilungsfunktion angegeben werden kann. Eine solche Funktion gibt an, mit welcher Häufigkeit eine Anzahl aller Gasteilchen eine Geschwindigkeit zwischen und besitzt:[3]
Bei Gasteilchen entspricht die Häufigkeitsverteilung nicht einer Normalverteilung, sondern einer so genannten Maxwellschen Verteilung. Im folgenden Diagramm ist diese Verteilungsfunktion für drei verschiedene Temperaturen dargestellt.
Die Geschwindigkeit, die dem Maximum der jeweiligen Kurve entspricht, wird als wahrscheinlichste Geschwindigkeit bezeichnet; sie stimmt nicht mit der mittleren Geschwindigkeit aller Geschwindigkeitswerte überein.
… to be continued …
Anmerkungen:
[1] | Mit ist die sogenannte Avogadro-Konstante gemeint, welche die Anzahl an Teilchen je mol eines chemischen Stoffes angibt. |
[2] | Anschaulich kann man sich die Gasteilcchen als „glatte“ Kugeln beziehungsweise Hanteln vorstellen. Durch die glatte Oberfläche können die Teilchen keinen „Spin“ übertragen, ähnlich wie man beim Tischtennis dem Ball keinen Drall mitgeben kann, wenn der Belag des Schlägers glatt und nicht rauh beziehungsweise klebrig ist. Eine Übertragung in Form von Rotationsenergie um die Kugelachse ist somit nicht möglich. |
[3] | Der Kurvenverlauf der Maxwell-Boltzmann-Verteilung wird über folgende Funktion festgelegt: (3)¶ |